Philosoph Habermas zerpflückt Merkels Politik
07.04.2011, 15:33 Uhr | Alexander Graßhoff, t-online.de
Jürgen Habermas rechnet mit Kanzlerin Merkel ab (Fotos: dpa)
Der Philosoph Jürgen Habermas meldet sich nur selten öffentlich zu Wort. Wenn er es tut, dann hat er auch wirklich etwas zu sagen. In einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung" geht er hart mit der Politik der Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel ins Gericht.
Konzeptlos, machtbesessen, opportunistisch - so beschreibt der 81-jährige Intellektuelle die deutsche Politik unter der CDU-Vorsitzenden.
Die Kehrtwende in der Atompolitik nach der Katastrophe in Japan und der Umgang mit dem Störfall Karl-Theodor zu Guttenberg waren die großen Themen der vergangenen Wochen, mit denen sich auch Habermas kritisch auseinandersetzt.
Für ein paar Silberlinge
Nachdem Guttenberg öffentlich als Plagiator überführt worden sei, habe Merkel "die halbe Republik und fast die ganze CDU zum Lügen gebracht", weil sie den Verteidigungsminister aufgrund dessen Popularität zunächst im Amt hielt.
"Kühl kalkulierend hat sie für ein paar Silberlinge, die sie an den Wahlurnen dann doch nicht hat einstreichen können, das rechtsstaatliche Amtsverständnis kassiert", schreibt Habermas. Ein großer Zapfenstreich für Guttenberg habe die Normalität dieser Praxis auch noch besiegelt.
Von Stimmungslagen abhängig
Die Politik folge "schamlos dem opportunistischen Drehbuch einer demoskopiegeleiteten Machtpragmatik". Das auffälligste Beispiel dafür sei das Atommoratorium Merkels. Eine Politik, so Habermas, die ihr Handeln von Stimmungslagen abhängig mache, denen sie "von Wahltermin zu Wahltermin hinterherhechelt".
Ein Konzept sei nicht zu erkennen in der Politik Merkels. "Man kann nicht mehr erkennen, worum es geht; ob es überhaupt noch um mehr geht als um den nächsten Wahlerfolg", so Habermas.
Zurückhaltung abgelegt
Diplomatische Zurückhaltung, die Bereitschaft, die Perspektiven der Anderen einzunehmen und Konflikte schon durch Vorleistungen zu entschärfen: Noch unter Minister Hans-Dietrich Genscher seien dies Leitmotive der deutschen Außenpolitik gewesen.
Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Merkel mache Deutschland unverhohlen den Führungsanspruch in Europa geltend. Für Habermas hätten unter Merkel nationale Rücksichten Vorrang vor der "europäischen Berufung", an die Genscher glaubte.